Die innere Ruhe finden – Autogenes Training, Entspannung aus eigener Kraft

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass der Alltag Sie auffrisst? Termine, ständige Erreichbarkeit, ein Gedankenkarussell, das nicht zur Ruhe kommt, und irgendwo dazwischen Ihr Wunsch nach innerem Frieden? Wenn Sie sich wünschen, abschalten zu können, ohne gleich einen langen Urlaub nehmen zu müssen, könnte Autogenes Training genau das sein, was Sie brauchen.


Was ist Autogenes Training?

Autogenes Training ist eine wissenschaftlich anerkannte Entspannungsmethode, die auf Selbstbeeinflussung durch Gedanken (Autosuggestion) basiert. Sie wurde in den 1920er-Jahren vom deutschen Arzt Johannes Heinrich Schultz entwickelt, der erkannte, dass Menschen ihren Körper allein durch gedankliche Vorstellung in einen Zustand tiefer Ruhe versetzen können.

Im Kern bedeutet Autogenes Training: Sie lernen, gezielt auf Ihr autonomes Nervensystem einzuwirken, also auf jene Abläufe im Körper, die normalerweise automatisch ablaufen, wie Herzschlag, Atmung oder Muskelspannung. Statt äußere Reize zu brauchen, wie Musik oder Massagen, nutzen Sie Ihre eigene Vorstellungskraft.

Typische Übungsformeln lauten zum Beispiel:

  • „Meine Arme sind angenehm schwer.“
  • „Mein Atem fließt ruhig und gleichmäßig.“

Diese Formeln wiederholen Sie gedanklich, während Sie sich auf die jeweiligen Körperbereiche konzentrieren. Mit der Zeit stellt sich eine tiefgreifende körperliche und geistige Entspannung ein. Muskeln lockern sich, Blutgefäße weiten sich, Stresshormone sinken.

Anders als bei manchen Meditationstechniken müssen Sie dabei nicht versuchen, an „nichts“ zu denken. Sie haben eine klare innere Struktur und konkrete Sätze, die Ihnen helfen, abzuschalten.

Das klingt simpel? Ist es auch, und gerade darin liegt die Stärke.


Wie wirkt es?

Autogenes Training entfaltet seine Wirkung, indem es gezielt auf das autonome Nervensystem einwirkt, jenes System, das Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Verdauung, Temperatur und viele andere unbewusste Körperfunktionen steuert. Normalerweise reagiert dieses System automatisch auf Stress: Ihr Puls steigt, Muskeln spannen sich an, die Atmung wird schneller.
Autogenes Training setzt genau hier an. Es hilft Ihnen, den Körper aus diesem „Alarmzustand“ herauszuführen und einen Zustand von Ruhe und Regeneration einzuleiten.

Mit den wiederholten Formeln senden Sie Ihrem Nervensystem Signale: „Alles ist in Ordnung, Sie dürfen loslassen.“ Muskeln entspannen sich, Ihr Puls wird ruhiger, Ihre Atmung gleichmäßiger.
Studien zeigen, dass Autogenes Training dabei helfen kann:

  • Stress abzubauen
  • Schlafprobleme zu lindern
  • Ängste und innere Unruhe zu reduzieren
  • Schmerzen leichter zu ertragen
  • Ihre Konzentration zu stärken

Die Mechanismen im Überblick

  • Muskelentspannung
    Durch die gedankliche Vorstellung von Schwere oder Wärme können sich Muskeln fast wie von selbst entspannen.
  • Durchblutung und Wärmegefühl
    Gefäße erweitern sich, die Durchblutung verbessert sich. Daher empfinden viele Übende ihre Hände und Füße als warm.
  • Herz-Kreislauf-Beruhigung
    Herzschlag und Blutdruck können sinken, was sich positiv auf Stress und Nervosität auswirkt.
  • Ruhigere Atmung
    Bewusste Atemformeln fördern einen gleichmäßigen, tiefen Atemrhythmus.
  • Stressabbau im Gehirn
    Der Parasympathikus (der „Ruhe-Nerv“) wird aktiviert und Stresshormone wie Cortisol können reduziert werden.

Die psychische Wirkung

Neben der körperlichen Entspannung erleben Sie auch mental mehr Ruhe. Gedanken ordnen sich, Grübelschleifen unterbrechen sich leichter, und innere Anspannung weicht einem Gefühl von Gelassenheit. Viele Menschen berichten, dass sie nach regelmäßiger Übung besser schlafen, sich weniger gestresst fühlen und klarer denken können.

So können Sie starten – eine kleine Übung

Der Einstieg ins Autogene Training ist einfach und braucht weder Vorkenntnisse noch besondere Hilfsmittel. Wichtig ist nur: Üben Sie regelmäßig und ohne Druck, am besten in einer ruhigen Umgebung.

Schritt-für-Schritt-Anleitung für Ihre erste Übung:

  1. Nehmen Sie eine bequeme Haltung ein.
    Setzen Sie sich entspannt auf einen Stuhl, lehnen Sie sich zurück oder legen Sie sich auf eine Matte. Arme und Beine sind locker, Hände ruhen entspannt.
  2. Schließen Sie die Augen und atmen Sie ruhig ein und aus.
    Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, bewusst anzukommen. Lassen Sie Gedanken kommen und gehen, ohne sie festzuhalten.
  3. Beginnen Sie mit der Schwereübung.
    Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren rechten Arm und denken Sie langsam:
    „Mein rechter Arm ist ganz schwer.“
    Wiederholen Sie diesen Satz mehrmals gedanklich. Spüren Sie, wie sich ein Gefühl von Schwere einstellt.
  4. Wechseln Sie die Seite und erweitern Sie die Übung.
    Wenn der rechte Arm schwer wirkt, folgen der linke Arm und dann die Beine.
    Später können Sie alle Körperteile einbeziehen:
    „Meine Arme und Beine sind ganz schwer.“
  5. Beenden Sie die Übung bewusst.
    Öffnen Sie die Augen, bewegen Sie Arme und Beine leicht, atmen Sie tief ein und strecken Sie sich. So signalisieren Sie Ihrem Körper, wieder in den Wachzustand zurückzukehren.

Tipp: Weniger ist mehr

Starten Sie mit wenigen Minuten, ein- bis zweimal am Tag. Mit der Zeit können Sie weitere Übungsformeln (z. B. Wärme, Atmung, Herz) hinzunehmen. Entscheidend ist die Regelmäßigkeit, nicht die Länge.


Für wen eignet sich Autogenes Training?

Autogenes Training ist eine Methode, die fast jeder erlernen kann, unabhängig von Alter oder Vorerfahrung. Es eignet sich besonders für Menschen, die aktiv etwas gegen Stress, innere Anspannung oder Erschöpfung tun möchten.

Besonders hilfreich ist es für:

  • Berufstätige mit hoher Belastung
    Wer ständig unter Druck steht, viele Termine hat oder abends nur schwer abschalten kann, profitiert von der schnellen Entspannung.
  • Menschen mit Schlafproblemen
    Autogenes Training kann helfen, abendliche Grübeleien zu stoppen und leichter in den Schlaf zu finden.
  • Schüler, Studierende und Lernende
    Es fördert Konzentration und Gelassenheit, gerade in Prüfungsphasen.
  • Personen mit stressbedingten Beschwerden
    Kopfschmerzen, Verspannungen oder Magenprobleme können sich durch regelmäßiges Üben spürbar verbessern.
  • Sportler und Kreative
    Es unterstützt mentale Regeneration und kann vor wichtigen Auftritten oder Wettkämpfen für innere Ruhe sorgen.

Wer sollte vorsichtig sein?

Autogenes Training ist sanft, aber nicht in jeder Situation geeignet.
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, psychotischen Symptomen oder in akuten Krisen sollten es nur unter professioneller Anleitung anwenden.
Auch bei Erkrankungen, bei denen veränderte Wahrnehmungen (z. B. Schwindel, Dissoziationen, Psychosen) ein Risiko darstellen, ist eine vorherige ärztliche Rücksprache sinnvoll.

Gut zu wissen:

  • Ältere Menschen profitieren besonders, da die Methode sehr schonend ist und keine körperlichen Voraussetzungen erfordert.
  • Autogenes Training ersetzt keine ärztliche Behandlung, kann diese aber wirkungsvoll ergänzen.
  • Kinder ab etwa 7–8 Jahren können einfache Übungen oft spielerisch erlernen.

Unterstufe und Oberstufe – die zwei Ebenen des Autogenen Trainings

Autogenes Training besteht aus zwei Stufen, die aufeinander aufbauen: Unterstufe und Oberstufe.

Die Unterstufe – die Grundlage

In der Unterstufe erlernen Sie die klassischen sechs Grundübungen, die sich auf körperliche Empfindungen konzentrieren:

  • Schwereübung – Muskelentspannung
  • Wärmeübung – Förderung der Durchblutung
  • Atemübung – ruhige, gleichmäßige Atmung
  • Herzübung – Beruhigung des Herzschlags
  • Sonnengeflechtübung – Entspannung des Bauchraums
  • Stirnkühleübung – geistige Klarheit

Diese Stufe ist für die meisten Menschen der zentrale Bestandteil des Autogenen Trainings und wird häufig allein praktiziert.

Die Oberstufe – für mehr innere Tiefe

Die Oberstufe geht einen Schritt weiter: Hier werden die Entspannungstechniken genutzt, um Bilder, Vorstellungen und innere Themen zu bearbeiten. Dabei können persönliche Ziele, emotionale Konflikte oder kreative Prozesse im Mittelpunkt stehen.
Diese Stufe wird in der Regel unter professioneller Anleitung erlernt, da sie stärker in psychische Prozesse eingreift und eine gewisse Übungserfahrung voraussetzt. Auch fließen diese Schritte schon sehr oft in therapeutische Interventionen ein.


Ihre Entspannung liegt in Ihrer Hand

Autogenes Training ist eine einfache, aber wirkungsvolle Methode, um Körper und Geist nachhaltig zu entspannen. Mit wenigen Minuten Übung am Tag können Sie lernen, Stress abzubauen, besser zu schlafen und innere Ruhe zu finden, ganz ohne aufwendige Hilfsmittel. Entscheidend ist nicht Perfektion, sondern Regelmäßigkeit: Jede kleine Übung bringt Sie ein Stück näher zu mehr Gelassenheit im Alltag. Warum also nicht heute damit beginnen? Ihr Körper und Ihr Geist werden es Ihnen danken.


1 Gedanke zu „Die innere Ruhe finden – Autogenes Training, Entspannung aus eigener Kraft“

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