Gelassener werden – Progressive Muskelentspannung verstehen und erleben

Haben Sie manchmal das Gefühl, ständig unter Strom zu stehen? Ihre Schultern sind verspannt, der Kopf schmerzt, und an erholsamen Schlaf ist kaum zu denken? Genau hier setzt die Progressive Muskelentspannung an. Eine einfache, aber äußerst wirksame Methode, die Ihnen hilft, Spannungen loszulassen und Ruhe in Körper und Geist zu bringen.


Was ist Progressive Muskelentspannung?

Die Progressive Muskelentspannung, kurz PMR genannt, wurde vom Arzt Edmund Jacobson entwickelt und ist eine der bekanntesten und am besten erforschten Entspannungstechniken. Sie folgt einem klaren Prinzip:
Gezielte Muskelanspannung, gefolgt von bewusster Entspannung.
Doch dahinter steckt mehr als nur ein kurzes Lockerlassen der Muskeln.

Im Alltag bemerken wir oft gar nicht, wie sehr sich unsere Muskulatur zusammenzieht, die Schultern sind hochgezogen, der Kiefer ist angespannt, die Stirn in Falten gelegt. Diese unbewusste Anspannung signalisiert unserem Nervensystem: „Achtung, Stress!“
Die PMR setzt genau hier an. Indem Sie einzelne Muskelgruppen nacheinander aktiv anspannen und wieder lösen, lernen Sie, diese Spannungszustände überhaupt erst wahrzunehmen. Mit der Zeit entwickelt sich daraus eine feine Körperwahrnehmung , und die Fähigkeit, Anspannung aktiv loszulassen, bevor sie sich festsetzt und Beschwerden verursacht.

Die Methode ist sehr einfach, erfordert keine Vorkenntnisse und kann praktisch überall angewendet werden: zu Hause, im Büro, vor dem Schlafengehen oder sogar in einer kurzen Pause zwischendurch.


So funktioniert Progressive Muskelentspannung

Der Ablauf ist unkompliziert und lässt sich schnell erlernen. Mit ein wenig Übung können Sie die Technik jederzeit und an nahezu jedem Ort anwenden.

  • Bequeme Haltung einnehmen – im Sitzen oder im Liegen
    Ich empfehle immer die sitzende Position, da der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Hat man sich an die Entspannungsübungen im Liegen gewöhnt, fällt es einem auf Dauer schwer, sie im Sitzen auszuführen. PMR Übungen sind aber ideal dafür, sie auch im Alltag jederzeit durchzuführen. Sich im Büro oder in Bus oder Bahn zum Beispiel dabei hinzulegen, dürfte sich allerdings als etwas komplizierter darstellen.
  • Eine Muskelgruppe anspannen – zum Beispiel die Hände zur Faust ballen. Halten Sie die Spannung für etwa 5–7 Sekunden.
    Bitte spannen Sie die gewählten Muskeln nicht zu extrem an, so dass sie vielleicht sogar einen Krampf bekommen. Das ist nicht Ziel dieser Übung. Es geht um eine leichte Anspannung, die für Sie und Ihren Körper auf jeden Fall noch angenehm ist.
  • Spannung loslassen – die Muskeln wieder locker lassen und 20–30 Sekunden nachspüren.
    Versuchen Sie sich wirklich nur auf die eine Muskelgruppe zu konzentrieren. Wie hat sich ihr Gefühl in zum Beispiel den Händen verändert? Taucht eventuell ein Kribbeln auf? Bemerken sie eine Wärme? Fühlt sich etwas schwerer an? Es geht darum den Unterschied wahrzunehmen zwischen dem angespannten und entspannten Zustand der Muskeln.
  • Zum nächsten Bereich übergehen – Arme, Schultern, Gesicht, Beine, bis alle wichtigen Muskelgruppen entspannt sind.

Machen sie anfangs am Besten nur Teilübungen, zum Beispiel nur den oberen Körper, wie Hände, Arme, Oberarme, Schultern, Gesicht und Bauch. Wenn sie diese Übung ein paar mal wiederholt haben, konzentrieren Sie sich danach erstmal nur auf den Unterkörper, wie Bauch, Gesäß, Beine und Füße. Erst dann würde ich dazu übergehen, den gesamten Körper in eine Übungseinheit mit einzubinden.

Wichtig! Wenn Sie die Füße anspannen, ziehen sie die Zehen am Besten zum Körper hin hoch. In der Regel dürfte das leichter fallen. Wenn Sie die Zehen nach unten hin „zusammenkrallen“, neigt die Fußmuskulatur häufig dazu, sich unter der Fußsohle zu verkrampfen.

Eine gesamte Übungseinheit, also von den oberen Extremitäten bis zu den Füßen, dauert in etwa 20–30 Minuten. Schon nach wenigen Wiederholungen spüren viele Menschen, wie sich innere Ruhe und Gelassenheit einstellen.


Warum wirkt das so gut?

Die Progressive Muskelentspannung entfaltet ihre Wirkung auf mehreren Ebenen – körperlich, nervlich und psychisch.

Im Alltag sind wir häufig im „Daueranspannungsmodus“. Stress, Sorgen oder ein hektischer Lebensstil führen dazu, dass bestimmte Muskeln ständig leicht angespannt sind, oft ohne dass wir es merken. Diese dauerhafte Anspannung wirkt wie ein stummer Stressverstärker: Sie hält den Körper in Alarmbereitschaft, lässt das Herz schneller schlagen und die Atmung flacher werden.

Durch die gezielte Abwechslung von Anspannung und Entspannung passiert genau das Gegenteil:

  • Das Nervensystem schaltet um. Die PMR aktiviert den Parasympathikus, jenen Teil des autonomen Nervensystems, der für Erholung und Regeneration zuständig ist. Puls und Blutdruck sinken, die Atmung vertieft sich, und der Körper erhält das Signal: „Alles ist in Ordnung.“
  • Stresshormone werden abgebaut. Die Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol reduziert sich, was langfristig das Immunsystem entlastet und den Stoffwechsel harmonisiert.
  • Die Muskelspannung normalisiert sich. Wer regelmäßig übt, spürt Verspannungen früher und kann sie gezielt lösen, bevor sie zu Schmerzen, Kopfschmerzen oder Bewegungseinschränkungen führen.
  • Die Körperwahrnehmung verbessert sich. Viele Menschen berichten, dass sie ihren Körper durch die PMR bewusster wahrnehmen und schneller erkennen, wann sie überlastet sind.
  • Auch die Psyche profitiert. Innere Unruhe, Nervosität oder kreisende Gedanken nehmen ab, und ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit stellt sich ein.

Diese Veränderungen entstehen nicht über Nacht. Doch schon nach den ersten Übungen sind oft spürbare Effekte da: ein leichterer Atem, ein klarerer Kopf, weniger Druck im Nacken. Mit regelmäßiger Praxis kann sich die Progressive Muskelentspannung zu einem wirkungsvollen Werkzeug entwickeln, um Stresskreisläufe zu durchbrechen und langfristig für mehr innere Balance zu sorgen.


Wobei hilft Progressive Muskelentspannung?

Progressive Muskelentspannung ist vielseitig einsetzbar und wird sowohl im medizinischen als auch im präventiven Bereich genutzt. Sie eignet sich für Menschen, die unter akuter Belastung stehen, genauso wie für jene, die ihre innere Balance langfristig stärken möchten.

  • Stress und innere Unruhe: Regelmäßiges Üben senkt das Stressniveau, indem das Nervensystem lernt, schneller von Anspannung in Erholung umzuschalten. Dadurch wird die Stressresistenz gestärkt, und alltägliche Herausforderungen verlieren ihren überwältigenden Charakter.
  • Schlafstörungen: Viele Betroffene berichten, dass sie nach einer abendlichen PMR-Übung schneller einschlafen und ruhiger durchschlafen. Der Grund: Die Methode signalisiert dem Körper, dass die „Aktivitätsphase“ des Tages endet.
  • Muskuläre Verspannungen und Schmerzen: Durch die verbesserte Wahrnehmung von Anspannung und die aktive Entspannung sinkt die Grundspannung der Muskulatur. Das kann Verspannungskopfschmerzen, Nacken- oder Rückenschmerzen deutlich lindern.
  • Chronische Schmerzen: PMR wird oft als Teil multimodaler Schmerztherapien eingesetzt. Sie hilft, den Teufelskreis aus Schmerz – Anspannung – noch mehr Schmerz zu durchbrechen und fördert das Gefühl von Selbstwirksamkeit.
  • Angst und Spannungszustände: Indem der Körper lernt, bewusst in einen Zustand der Ruhe zu wechseln, kann PMR begleitend helfen, Nervosität und Ängste zu reduzieren.
  • Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Beschwerden: Durch die Senkung von Puls und Blutdruck kann PMR eine schonende Ergänzung zu anderen Maßnahmen sein.

Darüber hinaus nutzen viele Menschen die Progressive Muskelentspannung einfach als kurze „Pause vom Alltag“: eine Insel der Ruhe zwischen zwei Terminen, in der Bahn, vor Prüfungen oder auch Präsentationen.


Ihr erster Schritt zu mehr Entspannung

Der Weg zu mehr Gelassenheit beginnt nicht mit großen Veränderungen, sondern mit einem kleinen, bewussten Moment. Sie brauchen dafür weder Vorkenntnisse, noch eine besondere Ausstattung und nicht viel Zeit, nur die Bereitschaft, es auszuprobieren.

Starten Sie mit kurzen Übungseinheiten von fünf bis zehn Minuten. Suchen Sie sich dafür einen ruhigen Ort, an dem Sie nicht gestört werden. Schließen Sie die Augen, atmen Sie ruhig und folgen Sie der einfachen Abfolge: anspannen, loslassen, nachspüren. Schon diese wenigen Minuten können Ihnen helfen, den ersten Unterschied zwischen innerer Anspannung und wohltuender Ruhe wahrzunehmen.

Wenn Sie möchten, steigern Sie die Dauer Schritt für Schritt. Viele Menschen finden es hilfreich, die Progressive Muskelentspannung in ihre tägliche Routine einzubauen. Etwa am Abend, um den Tag hinter sich zu lassen, oder morgens, um mit klarerem Kopf zu starten. Regelmäßigkeit ist dabei wichtiger als Perfektion. Jede Übung ist ein kleiner Baustein hin zu mehr Ausgeglichenheit.

Mit der Zeit werden Sie merken, dass Sie die Technik auch spontan im Alltag einsetzen können, zum Beispiel vor einem wichtigen Gespräch, während einer kurzen Pause im Büro oder wenn Sie abends nicht zur Ruhe kommen. Diese neue Fähigkeit, aktiv in einen Zustand von Entspannung umzuschalten, ist ein wirksames Werkzeug für Ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden, ein leichteres Lebensgefühl, mehr Entspannung und mehr Gelassenheit.


1 Gedanke zu „Gelassener werden – Progressive Muskelentspannung verstehen und erleben“

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